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Redemer drüber: Sozialhilfebezüger können nicht River-Raften
Wie wird man der frechste Sozialhilfebezüger der Schweiz? Wie lange kann man mit einem Kilo Zucker leben? Und warum können Sozialhilfebezüger nicht River-Raften? Diesen und anderen Fragen geht Spoken Word-Künstler Renato Kaiser nach.
Eine journalistisch-satirische Spurensuche im Bereich der Sozialhilfe, enstanden im Rahmen der Bodenseetagung 2016 – einer Fachtagung der Fachhochschule für Soziale Arbeit St.Gallen.

Argumente gegen Sozialhilfe-Abbau

Die Hilfe in Notlagen ist verfassungsrechtlich geschützt

Juristisch gesehen dürfen keine Kürzungs- und Sparmassnahmen beschlossen werden, wenn menschen- und grundrechtliche Garantien und Prinzipien tangiert werden. Gerade der Bereich der Existenzsicherung ist als äusserst sensibel zu betrachten. Daher ist die Hilfe in Notlagen auch verfassungsrechtlich und völkerrechtlich geschützt (Art. 12 BV, UNO-Pakt I).

Der Grund für die schlechte finanzielle Situation des Kantons Bern liegt nicht bei der Sozialhilfe

Grund für die schlechte finanzielle Situation sind nicht die Kosten der Sozialhilfe, sondern primär Einbussen auf der Einnahmenseite. Von den finanziell schwächsten Mitgliedern der Gesellschaft einen Beitrag an die Sparmassnahmen zu verlangen ist nicht gerechtfertigt, insbesondere da dieser Gruppe bereits 2005 Leistungen gekürzt worden sind. Wir haben es hier mit einer Frage zu tun, die den sozialen Frieden in der Schweiz tangiert.

Die SKOS ist ein notwendiges und föderalistisches Gremium

Zwar handelt es sich bei der SKOS um einen Verein, allerdings werden die SKOS-Richtlinien in einem Verfahren festgelegt und angepasst, in welchem neben PraktikerInnen vor allem VertreterInnen des Bundes, der Kantone, der Gemeinden sowie JuristInnen, SozialpolitikerInnen und private Organisationen teilhaben. Etwas genauer gesagt: Alle Kantone (sogar das Fürstentum Liechtenstein) und viele Städte und Gemeinden sind Mitglied der SKOS. Die Kantone stellen die Hälfte der Vorstandsmitglieder. Die Kantonsvertreter nehmen mit expliziter Bestätigung durch ihre (demokratisch gewählten) Departementsvorsteher im SKOS-Vorstand Einsitz. Ausserdem werden die Richtlinien neu von der SODK (die ausschliesslich aus demokratisch gewählten Departementsvorstehern zusammengesetzt ist) beschlossen.

Die SKOS-Richtlinien sind eine Referenzgrösse, auch für das Bundesgericht

Die SKOS gibt es nur, weil keine andere Institution in Zusammenhang mit der Ausrichtung der Sozialhilfe auf eidgenössischer Ebene existiert. Auch die eben aufwändig er- und überarbeiteten Stichworte für das kantonale Handbuch zur Ausrichtung der Sozialhilfe stützen sich auf die SKOS-Richtlinien.
Selbst das Bundesgericht greift in der Rechtsprechung in Zusammenhang mit der Sozialhilfe auf die SKOS-Richtlinien zurück (es gibt unzählige Bundesgerichtsurteile, in denen die SKOS-Richtlinien erwähnt werden).

Die SKOS-Richtlinien sind wissenschaftlich fundiert

Die SKOS-Richtlinien entspringen nicht einfach einer „Eingebung“ der SKOS-Mitglieder, sondern basieren auf einer wissenschaftlichen Untersuchung (siehe Gutachten von Michael Gerfin, Volkswirtschaftliches Institut der Universität Bern aus Anlass der Richtlinienrevision 2005). Der Warenkorb, der den Berechnungen des Grundbedarfs zugrunde liegt, orientiert sich an den alltäglichen Ausgaben der 10% finanziell schwächsten Haushalte der Schweiz (und nicht am Schweizer Mittelstand-Standard). Erst die Kürzungen von 2016 wurden auf politischen Druck hin beschlossen.

Die Problematik von Kürzungen

Ein Sozialhilfebudget stellt sich gemäss SKOS aus dem Grundbedarf für den Lebensunterhalt, den Kosten für die Krankenkassenprämie, den Mietkosten, den Integrationszulagen und je nach dem den situationsbedingten Leistungen zusammen. Die Motion verlangt eine Kürzung von 10% des Gesamtbetrags, der sich aus dem Grundbedarf, den Integrationszulagen und den situationsbedingten Leistungen zusammensetzt.

Integrationszulagen gibt es nur auf Gegenleistung

Integrationszulagen werden ausschliesslich gewährt, wenn eine Gegenleistung vorhanden ist. Die Formen der Gegenleistung sind im kantonalen Sozialhilfegesetz festgelegt. Wird die Gegenleistung nicht monatlich nachgewiesen, so wird die Integrationszulage nicht ausbezahlt.

Es gibt Menschen, die müssen über Jahre mit der Sozialhilfe auskommen

Die Sozialhilfe war im System der sozialen Sicherheit eigentlich als Überbrückung in Notlagen gedacht. Aufgrund struktureller Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt sowie Lücken und Leistungsabbau im Bereich der Sozialversicherungen beziehen immer mehr Leute über längere Zeit Sozialhilfe. Gelingt der Schritt zurück in ein existenzsicherndes Einkommen nicht oder über längere Zeit nicht, so müssen Menschen über viele Monate bis zum Teil Jahre mit dem Sozialhilfebudget Leben.

Sozialhilfe soll die Chancen für einen Wiedereinstieg ins Erwerbsleben aufrechterhalten

Studien in der Schweiz und in den umliegenden europäischen Ländern haben gezeigt, dass der Erhalt der Arbeitsfähigkeit und Gesundheit bei Langzeitarbeitslosigkeit in hohem Masse von einer Beteiligung am sozialen Leben abhängt. Soll die Sozialhilfe so oft wie möglich eine Hilfe in Notlagen bleiben, so muss sie den Betroffenen ermöglichen, die beruflichen und persönlichen Ressourcen für einen Wiedereinstieg ins Erwerbsleben zu erhalten.

Viele Menschen sind trotz Arbeitseinkommen auf Sozialhilfe angewiesen

Knapp ein Drittel der Sozialhilfebeziehenden sind erwerbstätig, können aber von ihrem Einkommen nicht leben. Es handelt sich hier in der Regel um Einelternfamilien, um Working Poor oder um Leute, die aufgrund ihres Alters keine Vollzeitarbeit mehr finden. Diese Personen können ihre Situation gar nicht oder erst nach mehreren Jahren aus eigenen Kräften wieder verändern. Ihnen muss aus ethischen und rechtlichen Gründen ein soziales Existenzminimum ausgerichtet werden.

Sozialtourismus gibt es nicht

Es gibt nirgends klare Hinweise darauf, dass ein Sozialtourismus existiert. Eine vor ein paar Jahren durchgeführte Studie in der Romandie kam zum Ergebnis, dass Sozialhilfebezüger vor allem aus familiären Gründen oder aus Gründen der besseren Chancen auf dem Arbeitsmarkt den Kanton wechselten. Es ist in der Tat für einen Sozialhilfebeziehenden viel zu komplex auszurechnen, ob ihm in einem anderen Kanton unter dem Strich tatsächlich mehr bleibt. Die SKOS selber musste eine wissenschaftliche Studie machen, um sich darüber ein Bild zu verschaffen. Die kantonalen Systeme sind viel zu unterschiedlich und vielmals undurchsichtig für den Normalbürger. Ausserdem ist es für Sozialhilfebeziehende nur schon deshalb sehr schwierig einfach den Wohnort zu wechseln, weil es immer weniger für sie erschwinglichen Wohnraum gibt (wenn sie als Sozialhilfebeziehende überhaupt eine Wohnung bekommen > Diskriminierung auf dem Wohnungsmarkt).

Schwelleneffekt ist steuerrechtlich zu regeln

Das tatsächlich vorhandene Problem der Schwelleneffekte bei der Besteuerung muss steuerrechtlich und nicht etwa durch eine Revision des Sozialhilfegesetzes gelöst werden.

Die Kosten für ein Auto sind im Grundbedarf nicht enthalten

Natürlich kann es vorkommen, dass über situationsbedingte Leistungen Autokosten angerechnet werden, vor allem wenn dieses der Arbeitsaufnahme oder -ausübung dient. Ein Auto wird jedoch bei der Anmeldung beim Sozialdienst als Vermögenswert angesehen und muss verkauft werden, falls dessen Werte selber oder gemeinsam mit anderen Vermögenswerten oder liquiden Mitteln den Vermögensfreibetrag (CHF 4000.- für eine Einzelperson, CHF 8000.- für ein Paar, CHF 2000.- pro Kind) übersteigt.

Junge Erwachsene werden bereits heute situationsgerecht behandelt

Im Stichwort Junge Erwachsene des kantonalen Handbuchs der BKSE kann nachgelesen werden, dass bereits heute für junge Erwachsene zwischen 18 und 25 besondere Regeln gelten. So werden Einzelhaushalte nur akzeptiert, wenn diese vor Eintritt der finanziellen Notlage bestanden und durch eigenes Erwerbseinkommen finanziert wurden. Ansonsten wird von jungen Erwachsenen verlangt, dass sie entweder bei den Eltern oder mit anderen Personen zusammenleben. Es wird ihnen dann ein der Haushaltsgrösse angepasster anteilsmässiger Grundbedarf ausbezahlt.


Die veränderten Richtlinien der SKOS sind für uns inakzeptabel

Die Schweizerische Konferenz für Sozialhilfe SKOS war dereinst unsere Garantin für ein soziales Existenzmimimum. Dann kam im Mai 2015 der grosse sozialpolitische Paukenschlag! Die SKOS und die Konferenz der kantonalen Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren (SODK) haben die Resultate aus dem Vernehmlassungsverfahren zur Revision der SKOS-Richtlinien gemeinsam ausgewertet und die Öffentlichkeit über die geplante Stossrichtung informiert. Die SKOS-Richtlinien wurden per 1.1.2016 u.a. wie folgt geändert:

Dies obwohl eine Studie des Bundesamtes für Statistik gezeigt hat, dass der Grundbedarf für den Lebensunterhalt sogar zu tief ist.

Wir distanzieren uns daher in aller Deutlichkeit von den heutigen SKOS Richtlinien, die per 1. Januar 2016 in Kraft gesetzt worden sind. Es ist für uns unverständlich, wie man die fachliche Perspektive, die wissenschaftlichen Grundlagen sowie die gesellschaftlichen Realitäten ausser Acht lassen und sich dem politischen Druck beugen kann.